Geboren und aufgewachsen in Istanbul, kam Büşra Kayıkçı bereits früh mit Kunst in Berührung, insbesondere mit Ballett, Malerei und Klaviermusik, und interessierte sich für die Werke klassischer und zeitgenössischer Künstler*innen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Nach Abschluss ihres Studiums der Innenarchitekur und Environmental Design begann sie, inspiriert von Komponisten wie John Cage und Nils Frahm, mehr und mehr musikalische Elemente in ihre Gestaltungskonzepte aufzunehmen.
Mit der Zeit gelangte Büşra Kayıkçı immer mehr zu der Überzeugung, dass Komponist*innen und Designer*innen im Grunde ähnliche Ansätze verfolgen: die Materialien mögen sich unterscheiden, doch die Prinzipien und Arbeitsweisen sind ähnliche. Mithilfe der verschiedenen erlernten Techniken wandte sich die Künstlerin verstärkt dem Sound Design zu und schuf erste minimalistische Kompositionen, die viel von Alltagserfahrungen inspiriert waren. Dabei wuchs auch die Begeisterung für den Versuch, technisch veränderten Klavieren neue Klänge zu entlocken.
Kayıkçıs interdisziplinärer Ansatz zeigt sich auch in den visuellen Werken rund um ihre Musik, wie Artwork und Videos, die die Künstlerin entweder eigenständig oder gemeinsam mit Freunden und Kollegen aus dem Designbereich gestaltet.
»Ich bin überzeugt, dass wir beim Anhören eines Liedes von Raum zu Raum und von einer Zeit in die andere reisen. Wenn uns eine Melodie tief bewegt, lässt sie einen Ort für Geist und Seele entstehen. Nicht nur Architekten oder Ingenieure können ein Gebäude errichten. Mit ihren musikalischen Mitteln erschaffen Komponisten eine Atmosphäre, die den Zuhörer in Städte, Gärten und Landschaften entführen kann.« Büşra Kayıkçı
Im November 2019 veröffentlichte Kayıkçı in Eigenregie die Single »Doğum« (Türkisch für »Geburt«); kurz darauf erschien ihr Debütalbum »Eskizler« (»Skizzen«), eine Sammlung von neun minimalistischen Stücken für Soloklavier. Es folgte eine Reihe digitaler Singles – um nur einige zu nennen: Für »Tuna« (2020) verwendete Kayıkçı das innovative, vom Klavierbauer David Klavins in Ungarn erbaute »Una Corda«-Piano; »Kuledibi No. 1« entstand in Zusammenarbeit mit einem Istanbuler Modelabel und wurde hauptsächlich durch dessen Showroom in Istanbuls symbolträchtigem Stadtteil Galata inspiriert, wo seit Jahrhunderten Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Religionen wohnen und leben; die Single »Qarib« schließlich wurde in die erste »Piano Day Compilation« aufgenommen, die 2022 von Nils Frahm LEITER Verlag veröffentlich wurde.
Büşra Kayıkçı zu ihrem Stück »Doğum«:
»Dieses Stück war meine erste Komposition. Es entstand 2019; zuvor hatte ich mich nie als Komponistin betrachtet oder, ehrlich gesagt, nicht einmal davon geträumt. Als ich damit fertig war, hatte ich das Gefühl, dass der Song wie die Melodie eines neugeborenen Kindes klingt, eines neuen Ichs. Deshalb habe ich ihn ›Birth‹ genannt.«
Zu Kayıkçıs bisher bedeutendsten interdisziplinären Projekten gehört ihre Zusammenarbeit mit dem New York Theatre Ballet im Jahr 2020. Das zeitgenössische Tanzstück, das die Choreografin Melissa Toogood dort auf Grundlage von Kayıkçıs Musik kreierte, wurde von Monica Lima interpretiert und von der New York Times begeistert rezensiert.
Kayıkçıs neue digitale EP »Eskizler/Sketches revisited« ist ihr Debüt bei Warner Classics. Für das Projekt überarbeitete sie fünf ihrer frühesten Werke, die eine wichtige Rolle in ihrer bisherigen Entwicklung gespielt haben. Einerseits eine Rückkehr zu altem Schaffen, andererseits die neue Auseinandersetzung mit eben diesem – im Grunde zeitgleich ein Blick in Vergangenheit und Zukunft.